Diagnose Krebs: Können Worte töten?
Th. Ahlert, J. Beier

Vorhergehendes Kapitel: 1. Einleitung

2. Die psychosoziale Situation

Es sind vor allem die Patienten mit einem schnell fortschreitenden oder / und mit einem akut aggressiv behandelten Krebsleiden, die der Umwelt eindrucksvoll Krankheit, Siechtum und Verfall demonstrieren und letztlich die Auffassung prägen, dass Krebs gleichzusetzen ist mit dem Tod.

Wird nun dem Patienten die Diagnose „Krebs“ verkündet, so findet er sich häufig - zusätzlich zu dem eigenen Vorurteil seiner Krankheit gegenüber - in einer problematischen psychosozialen Situation in Familie, Freundes- und Bekanntenkreis wieder: Hier gilt er eben nicht selten von Anfang an als verloren. Die wohlgemeinten Versuche, diese Auffassung zu verbergen, verschlimmern alles nur, weil der Betroffene selbstverständlich sensibel genug ist, solche Gedanken bei seinen nächsten Mitmenschen wahrzunehmen, auch wenn sie nicht ausgesprochen werden. So bleibt ihm nicht selten die unausgesprochene Rolle des vermeintlich „Todgeweihten“ für seine letzten Tage, Wochen, Jahre, - und im schlimmsten Fall eben auch Jahrzehnte. Arbeitsunfähigkeit, therapieinduzierte oder erkrankungsbedingte Gebrechen, häufige Arztbesuche, das alles bestätigt diese undankbare Rolle des „Todgeweihten“ gegenüber der Umwelt und dem Patienten selbst. Kaum jemand ist in dieser Situation stark genug, sich aus eigenen Kräften aus einer solchen Rolle zu befreien.

Eine kurzfristige Verbesserung mag die Nachricht der Ärzte erbringen, dass z.B. eine anstrengende Therapie „abgeschlossen“ ist und die Krankheit nach medizinischem Ermessen ausreichend behandelt wurde. Nicht selten aber haben die Patienten das Gefühl, dass diese Nachricht lediglich bedeutet, dass die Ärzte jetzt auch nicht mehr weiter wissen. Immerhin erholt sich der Patient in der Folgezeit von den schweren Nebenwirkungen der Therapien, was ihm Grund zur Hoffnung gibt, die Krankheit tatsächlich überwunden zu haben.

Ein Wiederauftreten des Tumors wirkt sich um so niederschmetternder auf die psychische Verfassung des Patienten aus, je mehr er von Ärzten und zum Teil von sich selbst die Vorstellung einer Heilung suggeriert bekam. Der Arzt wird jetzt eventuell etwas Neues wissen, das wieder Hoffnung auf Heilung verleiht. Diese wird in der Regel über kurz oder lang auch wieder enttäuscht, und so weiter.

So ist der Patient nicht selten einem Wechselbad der Gefühle von Hoffnung und Enttäuschung unterworfen, die bei ihm und seinen Angehörigen das Bild des „Todeskandidaten“ verstärken und festigen. Es bleibt irgendwann nur noch die Frage: „Wie lange noch?“ Allwissende Ärzte werden auch hierauf eine Antwort wissen – und sich auch hier nicht selten vollkommen vertun.

Nächstes Kapitel: 3. Wie wirken Worte?