Diagnose Krebs: Können Worte töten?
Th. Ahlert, J. Beier

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1. Einleitung

Mit ängstlich-erwartungsvollen Blicken sitzt der Patient dem Arzt gegenüber. Er sieht krank, angespannt und müde zugleich aus, als ob er nächtelang nicht geschlafen hätte. Er ahnt, dass er Krebs hat. Was wird kommen? Qual? Siechtum? Pflege bis zum Tod? Der Arzt ist sichtlich bemüht, nach den richtigen Worten zu suchen, findet sie aber nicht. Er will helfen, so gut er kann, braucht dazu aber die Mitarbeit des Patienten. Er hofft, dies mit der "Wahrheit", so wie er sie sieht, am besten zu erreichen:

„Dass Ihr Tumor bösartig ist, also ein Krebsgeschwür, steht jetzt endgültig fest. Nachdem wir nun alle Untersuchungen abgeschlossen haben, muss ich ihnen leider mitteilen, dass die Krankheit schon recht weit vorangeschritten ist, so dass wir sie kaum mehr heilen können. Wir müssen nun Ihren Bauch aufschneiden und herausholen, was möglich ist. Danach wird eine aggressive Chemotherapie, eine Strahlentherapie und Ihre Kastration nötig sein. Diese sind dringend erforderlich, sie werden sonst sehr bald sterben.“ Der Patient wird nach diesen Worten kreidebleich, bricht zusammen, wird bewußtlos und stirbt an einem Herzanfall.

Diese Begebenheit ist zwar gestellt und beschreibt einen - wenn auch nicht unrealistischen - Extremfall. In der Wirklichkeit ereignen sich ähnliche Ereignisse weniger spektakulär, aber durchaus häufig. Eher selten sterben die Patienten dabei sofort wie hier, noch während des Gespräches. Es stirbt meist zuerst der Lebenswille und die Hoffnung, und nach einem mehr oder weniger kurzen Leidensweg der Körper des Patienten. Es hilft auch nichts, wenn der Arzt, nachdem er die Wirkung seiner Worte bemerkt hat, versucht, diese abzuschwächen oder zu revidieren. Ihm wird nicht mehr geglaubt. Es entsteht ein Vertrauensverlust des Patienten bis hin zu der Auffassung, dass er als Arzt nicht kompetent ist.

Dabei, was sind die nüchternen Fakten?

Krebs ist tatsächlich häufig eine Krankheit, die unheilbar ist. Diese Krankheit reiht sich damit in die Gruppe der chronischen Erkrankungen ein, zu denen auch Rheuma, Demenz, Arteriosklerose und Diabetes Mellitus u.a. gehören. In der Statistik der Todesursachen wird für 25% der Todesfälle Krebs als mittelbare oder unmittelbare Todesursache angegeben. Aber über 60% der Todesfälle ereignen sich aufgrund von Erkrankungen des Herzens, der Blutgefäße oder des Kreislaufes.

Warum wird bei Krebs bereits die Diagnose gleichgesetzt mit baldigem Verfall und Tod, nicht aber bei Angina Pectoris, bei einem überstandenen Herzinfarkt oder einem Schlaganfall? Die Krankheit Krebs kann es nicht sein. Zu oft werden Krebspatienten mit ihrer Krankheit alt und sterben an anderen Gebrechen. Es gibt allerdings dramatische Verläufe mit schnellem Fortschreiten, das durch keine medizinische Maßnahme aufzuhalten ist. Aber solche Verläufe sind eher die Ausnahme als die Regel. Es sind jedoch speziell diese dramatischen Entwicklungen, die in der Bevölkerung wahrgenommen werden, während die langsamen, milderen kaum bemerkt werden. Zahlreiche gesund erscheinende Menschen hatten in ihrer Vergangenheit einmal Krebs gehabt, ohne dass das in der Umgebung bekannt oder bewußt ist. Manchmal ist es dem Patienten selbst nicht mehr präsent.

Allerdings kommen zu den dramatischen Verläufen noch die Fälle hinzu, die unter der Krebstherapie (namentlich Chemotherapie oder Strahlentherapie, seltener Operationen) einen Verfall erfahren, der z.T. von den Wirkungen der Krankheit kaum zu unterscheiden ist. Sind diese aggressiven Therapien dann auch noch ohne heilende Wirkung, was leider eher die Regel als die Ausnahme ist, wirken Krankheit und Therapie in die gleiche Richtung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten und verstärken sich in ihrer Fatalität gegenseitig.

Wir wollen in diesem Beitrag die seelisch - psychologische Problematik dieser Situation konsequent beleuchten. Dabei soll sowohl die Sicht der Umwelt als auch die des Patienten berücksichtigt werden. Wir werden zeigen, dass beide die Schwierigkeiten der Kommunikation bei Krebs handhaben können. Dazu werden wir allgemeine Erkenntnisse aus der Psychologie und Psychotherapie heranziehen. Darüber hinaus werden wir hilfreiche Therapiemethoden vorstellen.

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