Vorhergehendes Kapitel: 2. Die psychosoziale Situation
3. Wie wirken Worte ?
Die oben beschriebene psychische Situation von Krebspatienten macht deutlich, dass es in der Regel das Zusammenwirken der Laienvorstellungen zu Krebs, der tatsächlichen krankheits- und therapiebedingten Leiden sowie des Einflusses der Ärzte ist, das den Patienten zu einem Zeitpunkt schwer beeinträchtigen kann, an dem er noch quicklebendig ist und an das Sterben nicht mehr und nicht weniger denken müsste als ein Patient mit Angina Pectoris, nach Herzinfarkt, mit Lungenentzündung, unter Dialyse, mit Rheuma oder Demenz.
Dabei können ganz besonders beim Krebspatienten die falschen Worte oder Gesten die Probleme mit der Krankheit unnötig verschlimmern. Mitfühlend gemeinte ärztliche Aussagen wie „Sie werden die Therapie nicht ohne Psychopharmaka überstehen“ oder „Sie ziehen das Unglück aber auch an!“, Worte wie „nicht heilbar“, „weit fortgeschritten“, „sterben“ und „Tod“ können in der speziellen Situation des Krebspatienten eine sich selbst erfüllende Prophezeiung bedeuten.
Der Grund liegt darin, dass der Krankheitsverlauf von der psychischen Disposition des Patienten abhängig ist. Es ist insbesondere das Verdienst von Grossarth-Maticek (Literaturangaben 1 - 3), dass der Einfluss seelischer Komponenten auf den Verlauf der Krebserkrankung quantifizierbar geworden ist. Nach großen epidemiologischen Studien mit tausenden Patienten und gesunden Probanden über mehr als 20 Jahre fanden Grossarth-Maticek und Kollegen, dass psychische Faktoren das Krebsrisiko etwa genauso stark beeinflussen wie körperliche (inklusive genetische) Risikofaktoren: Menschen mit günstigem psychischem Profil bekommen seltener Krebs als Patienten mit ungünstigem psychischen Profil. Erkranken sie dennoch, so ist ihre Überlebenszeit länger als bei Patienten mit ungünstigem psychischem Profil. Hier mag ein Zusammenhang mit einer größeren körperlichen Aktivität bei günstigem psychischem Profil gegeben sein: es ist bekannt, dass sportliche Aktivität wie keine andere Einzelmaßnahme Rezidiven vorbeugt und die Überlebenszeit verlängert.
Grossarth-Maticek und Kollegen zeigten, dass die Krebserkrankung insbesondere von folgenden psychosozialen Faktoren in ihrem Verlauf beeinflusst wird:
- Depressive Verstimmungen allgemein (reaktiv oder endogen)
- Angst
- Das Gefühl einer unüberwindbaren Beeinflussung bzw. Einengung des Denkens und Handelns des Betroffenen von außen („Ich lebe nicht, sondern ich werde gelebt. Andere bestimmen mein Leben. Mein Leben ist von außen manipuliert.“)
- Verlusterlebnisse / Frustrationen jeglicher Art
- Mangelnder Halt, mangelnde Geborgenheit und mangelnde Bestätigung im sozialen Umfeld, inklusive der Arzt-Patient-Beziehung. („Mein Leben ist bedeutungslos für meine Mitmenschen. Ich bin eher eine Belastung als ein Gewinn für meine Mitmenschen.“)
- Die Unterdrückung eigener Impulse, Wünsche, Bedürfnisse und Auffassungen zugunsten der Harmonie mit der Umwelt. („Um des lieben Friedens willen halte ich mich zurück und gebe nach.“)
Diese Risikofaktoren sind in vielen Lebenssituationen der Krebskranken wirksam und sind somit für den Krankheitsverlauf relevant. Hier einige konkrete Beispiele:
- Enttäuschte Hoffnungen auf Heilung (vom Patienten selbst, von Ärzten und oder von anderen Vertrauenspersonen geweckt)
- Verlust von Arbeitsfähigkeit, Arbeitsplatz, Stellung im sozialen Umfeld wegen der Behinderung durch die Erkrankung
- Wechselnde oder fehlende (ärztliche) Bezugspersonen, unsichere und von Vertrauenskrisen gezeichnete Arzt-Patientenbeziehungen
- Tod eines geliebten Mitmenschen, ganz besonders wenn Krebs die Ursache war
- Nicht gewollte Scheidungen und andere Trennungen von geliebten Mitmenschen
- Das Gefühl, „nutzlos“, „überflüssig“ oder gar „unerwünscht“ bzw. „schädlich“ und „belastend“ zu sein. Damit verbunden: Verlust des Selbstwertgefühls bis hin zur Verachtung und Ablehnung seiner selbst
- Angst (z.B. vor dem Sterben, der Hilflosigkeit oder vor Therapienebenwirkungen)
Stellt man sich nun die Ausgangsfrage dieses Beitrags „Können Worte töten?“ und beachtet diese psychosozialen Risiken, so kommt man zu folgender Antwort:
Worte und Taten der Angehörige, Freunde, Ärzte und Therapeuten, die diese Risiken verstärken oder begünstigen, können das Leben des Patienten verkürzen.
Nächstes Kapitel: 4. Können tödliche Worte vermieden oder neutralisiert werden?